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C&M-5-2012 > Wer rastet, der rostet – der Pharmamaschinenbau ist gefordert

Wer rastet, der rostet – der Pharmamaschinenbau ist gefordert

Neue Pharmawelt

Jahrzehntelang war die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelherstellung von untergeordneter Bedeutung. Jetzt scheint das Pendel in die andere Richtung auszuschlagen. Der Pharma­produktionsstandort Deutschland offenbart in dieser Hinsicht im internationalen Standort­wettbewerb Konditionsmängel. Nicht ganz uneigennützig hofft der VDMA auf ein Fitnessprogramm der Branche.

Pharmamaschinenbau braucht Pharmaproduktion!

Es ist eine Binsenweisheit im Sonder­maschinenbau: Man entwickelt nicht für den Kunden, sondern mit dem Kunden. Anregungen und Feedback der Anwender sind die Saat für Neuentwicklungen. Begeisterungsfähige und zugleich geduldige ­Pilotanwender sind Voraussetzung, um Neuentwicklungen zur Marktreife zu bringen. Das geht umso besser, wenn der Pilot­anwender um die Ecke sitzt. Es ist daher kein Zufall, dass Deutschland, einst die „Apotheke der Welt”, einen leistungs­fähigen Pharmamaschinenbau hervor­gebracht hat, der seinerseits weltweit die Spitzenposition einnimmt (s. Kasten). Doch die Pharmawelt hat sich geändert. Die Wachstumszentren haben sich in ­Richtung der so genannten Pharmerging Markets verschoben und im Zuge der all­gemeinen Kostendämpfungsdiskussion scheint die Herstellung von Arzneimitteln für „Big Pharma” aus der Kernkompetenz herauszufallen, zumindest was die Herstellung patentfreier Massenware angeht. Geht dem Pharmaproduktionsstandort Deutschland die Puste aus? Und geht damit dem deutschen Pharmamaschinenbau der „natürliche" ­Entwicklungspartner verloren?

In guten Jahren Fett angesetzt

Auf den ersten Blick erscheint die Lage hoffnungslos. Indien bietet sich weltweit als Produktionsstandort für Arzneimittel an. Das Argument: Kostenvorteile von 50% ­gegenüber Produktionsstandorten in Europa (Abb. 1). Doch diese haben noch Luft, was die Produktivität angeht. So konnte ein deutscher Standort für Feststoffprodukte im Zuge einer Restrukturierung seine Herstellstückkosten um mehr als 20% senken und erreichte damit das Niveau der Spitzengruppe einer von McKinsey durchgeführten internationalen Vergleichsstudie. Und das war nach Ansicht des Projektverantwortlichen noch nicht das Ende der Fahnenstange. Bei dem hohen Anteil von Wirk- und Hilfsstoffkosten und einer weltweiten Angleichung der Anforderungen an Arzneimittelsicherheit und Produktionsstätten relativiert sich damit der Unterschied in den Herstellkosten zwischen den Produktionsstandorten. Andere Faktoren schieben sich in den Vordergrund, z.B. Qualitätskontrolle bei Wirk- und Hilfsstoffen, schnelle Reaktionsmöglichkeiten auf Änderungen in der Nachfrage, Verkürzung der Durchlaufzeiten, time to market usw.


Abb.1 Indiens Pharmaindustrie profiliert sich als Kostenführer bei der Lohnherstellung von Arzneimitteln
Quelle: Ernst & Young 2009: Taking wings, coming of age of the Indian pharmaceiurical industry


Abb.2 Chronisch niedrige Gesamtanlageneffektivität
Quelle: Tetragon Consulting


Abb.3 Die Verbesserung der Produktivität ist eine Hauptherausforderung der Pharmaindustrie
Quelle: Tetragon Consulting

Von der Konsumgüterindustrie lernen?

Kurz, die ökonomischen Herausforderungen an die Pharmaproduktion unterscheiden sich im Grunde nicht von denen in der Konsumgüterindustrie. Diese hat ­bekanntlich unter erheblichem Wirtschaftlichkeitsdruck ihre Produktivität und Flexibilität beeindruckend steigern können. Der Maschinenbau hat dabei eine zentrale Rolle gespielt. Warum sollte das der Pharma­industrie nicht auch gelingen?

Ja, die Pharmaindustrie hat andere Rahmen­bedingungen als die Konsumgüterindustrie. Ja, die Erfolgsrezepte der Konsumgüter­industrie lassen sich nicht auf die Pharmaproduktion übertragen. Aber dass der verstärkte wirtschaftliche Druck, wenn man ihm nicht ausweicht, produktive Kräfte freisetzt, davon bin ich überzeugt. Und ich bin genauso davon überzeugt, dass der Weg nicht darin besteht, ausgetretene Pfade schneller zu gehen. Es geht darum, um im Bild zu bleiben, Abkürzungen zu finden. Warum?

Potenzial ist da, aber…

Schauen wir uns einmal die Gesamt­anlageneffektivität OEE einer Tablettenproduktion an. Der im Beispiel (Abb. 3) angeführte Wert von 24% ist nicht un­typisch für die Branche. Verglichen mit Benchmark-Werten der Konsumgüterindustrie ist dieser Wert unglaublich gering. Vordergründig signalisiert dies ein großes Optimierungspotenzial. Doch schaut man auf die den Maschinen zuzurechnenden Leistungsverluste, die sich auf 11% summieren, wird klar, dass in einer Optimierung der Teilprozesse nicht der Ansatzpunkt für eine deutliche Erhöhung der OEE liegen kann. Es ist die Struktur des Pharmaprozesses, die einer Erhöhung der Gesamtanlageneffektivität im Wege steht: Die Aneinanderreihung einer Vielzahl von räumlich separierten Verfahrensschritten, die mit Batch- und Produktwechsel einhergehenden langen Rüst- und Reinigungszeiten, Engpässe in der Verfügbarkeit benötigter Produktionseinheiten.

… es bedarf neuer Wege, das Potenzial zu heben

Auf der im Juni in Frankfurt durchgeführten ACHEMA waren technische Lösungsansätze zur Verbesserung der Gesamtanlageneffekti­vität zu sehen. Klassisch ist dabei die ­verfolgte Zielsetzung, die Maschinen über eine Verkürzung der Rüst- und Reinigungszeiten schneller wieder in die Produktion zu bringen. Wie die Quadratur des Kreises erscheint dagegen die verfolgte Zielsetzung in der Pharmaproduktion, von einer Batchproduktion auf eine (quasi-) kontinuierliche Produktion überzugehen. Doch auch hier sind Fortschritte erkennbar. So wurde die Verblockung mehrerer kontinuierlicher Verfahrensschritte realisiert. Dies ermöglicht deutlich kürzere Durchlaufzeiten. In eine ganz andere Richtung gehen die Überlegungen eines ehemaligen Standortleiters, mit dem ich während der ACHEMA ein längeres Gespräch führte. Seine Vision sind durchstandardisierte Produktions­module einschließlich Maschinen, Medienversorgung und technischer Gebäude­ausrüstung. Nicht die Verbesserung der Auslastung der Maschinen, sondern die schnelle und flexible Produktionsbereitschaft der Produktionsmodule und damit die verbesserte Nutzung der teuren Gebäude­infrastruktur sind seine Ziele. Das ist nicht ohne die Zusammenarbeit mit den Maschinenherstellern zu erreichen.

Gemeinsam Neues wagen!

Diese Ansatzpunkte machen Hoffnung, dass sich der Pharmaproduktionsstandort Deutschland auch in Zukunft gegen wachsenden internationalen Wettbewerbsdruck behaupten wird. Der Schlüssel dazu sind Verfahrens- und Prozessinnovationen. Wo sollen diese stattfinden, wenn nicht hier? Die gewachsene Symbiose von Pharma­produktion und Pharmamaschinenbau bieten beste ­Voraussetzungen dafür!

Foto: © istockphoto.com| Clerkenwell_Images

Stichwörter:
Arzneimittelherstellung, VDMA, Pharmamaschinenbau, Pharmaproduktion, Sondermaschinenbau, Neuentwicklung, Kostendämpfungsdiskussion, Arzneimittelsicherheit, Qualitätskontrolle, Wirkstoff, Hilfsstoff, Konsumgüterindustrie, Gesamtanlageneffektivität, OEE, ACHEMA, Verfahrensinnovation, Prozessinnovation,

C&M 5 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 5 / 2012.
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