Kunststoffe
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Des einen Leid, des anderen Freud
Des einen Leid, des anderen FreudKohlendioxid als PolymerbausteinKohlendioxid ist ein kostengünstiger Baustein und kann grundsätzlich preiswert mit Propylenoxid zu Polypropylencarbonat, einem bioabbaubaren Material umgeformt werden. Die Eigenschaften können über die Polymerisationsbedingungen eingestellt werden. Kohlendioxid ist als Klimagas heute sicher sehr medienwirksam und meistens mit einem negativen Image behaftet. Es wird fast grundsätzlich ursächlich mit einer ebenso negativ belegten Klimaveränderung in Zusammenhang gebracht [1]. Als Chemikalie erscheint es eher langweilig; es ist thermodynamisch stabil mit zwei relativ starken Kohlenstoff-Sauerstoffdoppelbindungen, was in der Konsequenz dazu führt, dass die Reaktionen von und mit Kohlendioxid öfter thermoneutral sind, Gleichgewichte bilden und ohne externen „Druck“ nicht zu den Produkten ablaufen. Typische Beispiele hierfür sind die Synthese von Harnstoff oder Dialkylcarbonaten – ausgehend von Alkoholen. Kohlendioxid ist aber ebenso die Basis des Lebens. Auch ist es nachhaltig vorhanden und könnte als polarer C1-Baustein kinetisch leicht zur Reaktion gebracht werden. Kohlendioxid als alternative Kohlenstoffquelle ist in dieser Hinsicht sicher noch nicht ausgereizt, insbesondere wenn preisgünstige Energie zur Verfügung gestellt werden kann [2,3]. Eine interessante Option könnte die Copolymerisation mit Propylenoxid darstellen. Die Produkte, die aus der Copolymerisation resultieren – Polypropylencarbonate –, sind amorphe Thermoplasten (Abb. 1, 2). Wenn man bedenkt, dass solche Kunststoffe mit zu den großvolumigsten chemischen Produkten gehören, wäre ebenso eine großvolumige Verwendung von Kohlendioxid – zunächst mal unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet – als kostengünstiger Baustein vorstellbar. Das wiederum setzt voraus, dass die Copolymere von Kohlendioxid kostengünstig hergestellt werden können und dass die Materialeigenschaften eine großvolumige Verwendung zulassen. Anders gesagt: Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss stimmen, wenn es als neues Material erfolgreich mit Polyolefinen (PE, PP, PS) oder Polyester (PET) konkurrieren soll, die in effizienten Verfahren aus crackernahen Rohstoffen in wenigen (katalytischen) Prozessschritten hergestellt werden. Kombination von Propylenoxid und Kohlendioxid
Offensichtlich bilden die Rohstoffe Propylenoxid und Kohlendioxid eine gute Basis für einen Erfolg in diesem Sinne. Propylenoxid ist darüber hinaus eine der wenigen Chemikalien, die durch die exotherme Ringöffnung (etwa 95 kJ/mol) mit Kohlendioxid vollständig zu den Produkten abreagiert, d.h., die Produktbildung kann bei einem Druck von 1 bar und bei Raumtemperatur erwartet werden. Tatsächlich wurden einige Katalysatoren gefunden, die dies bewirken können [4]. Katalysatoren sind für die Steuerung der Verknüpfung von Kohlendioxid- und Propylenoxidverbindungen mit einem niedrigen bzw. einem hohen Energieinhalt selbstverständlich essenziell. Der heutzutage schnellste Katalysator mit einer Aktivität von um die 30 kg/g Metall.h ist ein Cobaltsalenkomplex mit kationischen Seitenketten. Dieser empfindliche Komplex muss jedoch aufwändig in etwa 10 Stufen synthetisiert und nach der Copolymerisation wieder aus dem Produkt entfernt werden [5]. Viel attraktiver erscheint der altbekannte, aber wenig produktive Katalysator Zinkglutarat [6]. Es kann, ausgehend von Zinkoxid und Glutarsäure, also einfachen Bulkchemi-
Abb.1 Kreislauf von Kohlendioxid und Polypropylencarbonat
Abb.2 Synthese von Polypropylencarbonat in CO2-Atmosphäre
Abb.3 Synthese von Zinkglutarat in Kilogrammmaßstab. (Insert: TEM-Aufnahme von Zinkglutaratröhrchen)
Abb.4 Anteil Carbonatverknüpfungen im Polymer bei 8 bar als Funktion der Temperatur
Abb.5 Zinkglutaratsynthese
Katalysatorentwicklung Wir haben uns deswegen das Ziel gesetzt, den Feststoff Zinkglutarat in seiner katalytischen Wirkung so zu steigern, dass nach der Herstellung nicht mehr als 100?ppm Zink im polymeren Produkt vorhanden sind. Dieser Wert ist von mehrfacher Bedeutung, u.a. für die thermische Stabilität des Produkts (die Zersetzung wird von Lewis-Säuren beschleunigt), um eine Zulassung als Verpackungsmaterial für Nahrungsmittel erhalten zu können, und für eine gute Transparenz des Polymers. Das zu lösende Problem war klassisch: Es galt, die Oberfläche und/oder die Anzahl der aktiven Zentren eines festen Katalysators zu erhöhen. Dies konnte durch Steuerung der Synthese von Zinkglutarat über ein Templat erreicht werden. Es war eine glückliche Entdeckung, dass es möglich ist, an der Oberfläche von kationischen Mizellen eine neue Modifikation zu kristallisieren. Diese hat eine für Zinkglutarate sehr hohe BET-Oberfläche (~300 m2/g) und vor allem eine bisher nicht bekannte hohe Aktivität für die Copolymerisation von Propylenoxid und Kohlendioxid. So wird es zum Beispiel möglich, bei 20°C und 5 bar zu copolymerisieren und in einem einfachen Batchverfahren 3 kg Copolymer pro Gramm Zink zu erhalten. Diese Form von Zinkglutarat kann problemlos im Kilogrammmaßstab synthetisiert werden (Abb. 3) und sie ermöglicht es, über Druck und Temperatur Einfluss auf die Zusammensetzung des Copolymers zu nehmen (Abb. 4). Die Polymerisationsgeschwindigkeit korreliert linear mit der Katalysatormenge, eine Deaktivierung mit der Standardqualität von CO2 und Propylenoxid findet merkbar nicht statt. Eine Semibatch-Fahrweise, wie sie für die Synthese von Polypropylenglycolen aus Propylenoxid üblich ist, wird nun für die Copolymerisation mit CO2 ausgearbeitet. Eine einfache, kostengünstige und steuerbare Herstellung von Copolymeren mit einem hohen Carbonatgehalt rückt damit in Reichweite. Propylencarbonate als Material Ein zweiter Punkt für einen wirtschaftlichen Erfolg sind die Materialeigenschaften und die damit zusammenhängenden potenziellen Anwendungen. Die Copolymere von Kohlendioxid und Propylenoxid bilden eher eine Materialfamilie. Die unterschiedlichen Verhältnisse (Propylenoxid wird mindestens – molar – 1:1 zu Kohlendioxid eingebaut) zwischen den beiden Monomeren im Copolymer liefern unterschiedliche Produkte. Es entstehen somit Polycarbonat – das alternierende Copolymer – und Polyethercarbonate bzw. Polycarbonatether mit steigendem Propylenoxidgehalt (Abb. 1). Die Glastemperaturen variieren zwischen etwa -40°C für das Copolymer, das überwiegend Etherverknüpfungen enthält [7], und etwas über 40°C für das alternierende Polypropylencarbonat. Auffallend für die Propylenoxid/CO2 -Copolymere mit einem hohen Carbonatgehalt sind die angenehme Haptik, der kleine Brechungsindex und die hervorragende Rückstellung, die mit den leicht erreichbaren hohen Molmassen einhergeht. Das alternierende Copolymer wird heutzutage in kleinen Mengen (mit hohen Kosten) produziert und auf Basis der rückstandslosen thermischen Zersetzung als Binder in der Herstellung von keramischen Materialien benutzt [8]. Großvolumigere Anwendungen als Blendkomponente, z.B. für Polylactid oder als Hauptkomponente in Verpackungsmaterialien nach Einstellung des Glaspunktes, wären technisch machbar. Polypropylenethercarbonate sind biologisch abbaubar und können die Eigenschaften von „Biopolymeren“ erheblich verbessern.[9] Die Copolymere kann man somit als nachhaltig bezeichnen, insbesondere wenn Propylenoxid benutzt wird, das, ausgehend von Glycerin, hergestellt wurde (Abb. 1). Selbstverständlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass mit der Herstellung von Polypropylencarbonat zwar Kohlendioxid bis zu 43 Gew.-% fixiert wird, dass jedoch netto ohne den Einsatz von Erneuerbaren Energien für die Prozessführung und Bereitstellung der Einsatzstoffe kein Treibhausgas eingespart wird. Die Attraktivität geht aber von dem Material mit seinen Eigenschaften aus, wobei der Preis als Eigenschaft nun zunächst das „normale“ Niveau eines Thermoplasten erreichen könnte. Diese Entwicklungen sind aus meiner Sicht wissenschaftlich und wirtschaftlich hochinteressant. Literatur
[1] I. Tönnies, H. Hasse, Chemie und More 2011 2 41. Foto: © istockphoto.com| selensergen |
C&M 5 / 2012Das komplette Heft zum kostenlosen Download finden Sie hier: zum Download Der Autor:Weitere Artikel online lesenNewsAhlborn GmbH: Hochgenaue Temperaturmessung mit digitalen FühlernBei über 80 % aller industriellen Messaufgaben werden Temperaturen gemessen. Wichtig ist das Zusammenspiel von Messgerät und Fühler sowie die verwendete Technologie. Aus der Präzisionsschmiede, der Firma Ahlborn aus Holzkirchen bei München, kommt jetzt ein Messsystem für hochgenaue Temperaturmessung, das nicht nur im Labor verwendet werden kann.© Ahlborn Mess- und Regelungstechnik GmbH |